Die Sonne meinte es gut mit allen und so hatte Frank sich mal wieder aufgemacht, mit Anni spazieren zu gehen. Außer Serien auf seinem Laptop anzusehen, zu lesen oder lange auszuschlafen, was er sich für dieses Osterwochenende fest vorgenommen hatte, hatte er nicht viel zu tun und genoss die Ruhe.
Gerade Anni schien es sehr zu begrüßen, daß Frank gerne am See spazieren ging.
Sie tollte umher, scheuchte Enten durch die Gegend oder spielte mit anderen Hunden. Zum Glück war sie gerade nicht läufig, so daß er sie frei laufen lassen konnte, ohne Gefahr zu laufen, in ein paar Wochen kleine, schwarze Welpen durch die Wohnung laufen zu haben.
Seine eigene Familienplanung war schon seit gut 18 Jahren abgeschlossen, doch leider wohnten seine Kinder 200 Kilometer entfernt bei ihrer Mutter und hatten in diesen Osterferien auch besseres zu tun, als ihn zu besuchen. Doch das bescherte ihm ein recht ruhiges Osterwochenende, was auch nicht zu verachten war.
Eine Frau gab es in seinem Haus nicht. Er hatte beschlossen, eine Weile Single zu bleiben und die Ruhe zu genießen. So konnte er in aller Ruhe in seiner, zur gut ausgestatteten Schreiner- und Metallwerkstatt, umgebauten Garage herum werkeln, ohne daß im jemand sagte, was er zu tun oder lassen hatte.
Er setzte sich auf eine Bank und holte sein Tablett aus der Jackentasche, schaltete es ein und begann eine Geschichte zu lesen, die er vor ein paar Tagen im Internet gefunden hatte. Da er nicht andauernd am PC lesen wollte, hatte er die Geschichte kurzerhand kopiert und sie auf seinem Tablett gespeichert.
Ab und zu warf er einen Blick zu Anni, die am Ufer stand und Enten verbellte. Ins Wasser traute sich das schwarze Pelzknäul nicht, dazu war sie viel zu Wasserscheu.
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Wie lange sie schon nichts Richtiges gegessen hatte, wusste Annika nicht. Sie hatte die letzten Wochen Reste aus den Mülleimern vor Fastfoodrestaurants gegessen. Betteln lohnte sich hier nicht. Warum war sie auch auf die blöde Idee gekommen, aus der Stadt heraus in diesen verschlafenen Vorort zu gehen? Diese Frage konnte sie sich selbst nicht beantworten. Hier gab es keine Fastfoodrestaurants und die Leute warfen auch nicht all zu viele Lebensmittel in die Mülleimer in dem Park. Das einzig Gute daran war, das sie die Hütte im Wald nicht mit Anderen teilen musste, die versuchten, sie beklauen.
Sie hatte die Hütte gefunden, kurz nachdem sie hier angekommen war. Sie befand sich nicht weit vom Waldrand entfernt und stand offenbar schon länger leer. Mit ein paar Zweigen und Ästen hatte sie die Wände notdürftig geflickt und ein paar Plastikplanen, die sie auf einer Baustelle gefunden hatte, dichteten Dach und Wände gut gegen Wind und Regen ab. Nun saß sie im Unterholz vor den Weg der um den kleinen See herum führte und wartete darauf, das dieser Typ endlich aufstand und ging. Doch anscheinend würde sie noch lange warten müssen, denn er hatte ein großes Handy oder so etwas aus der Tasche gezogen, die Beine übereinander geschlagen und begonnen zu lesen. ‚Nicht auch noch das‘, dachte sie sich und ihr blieb nichts anderes übrig als ab zu warten.
Endlich, es begann bereits zu dämmern, stand der Kerl auf, steckte das Handy in die Jackentasche und steckte sich eine Zigarette an. Süßlicher Tabakgeruch wehte zu Annika herüber. Geraucht hatte sie schon seit Wochen nicht mehr, das wenige Geld das sie irgend wo gefunden oder aus den Taschen anderer Leute geklaut hatte, reichte gerade einmal, um sich bei einem Bäcker ein Brot zu kaufen und natürlich für den billigen Wodka vom Discounter, der sie warm hielt, wenn es draußen kalt wurde. Und kalt war es in letzter Zeit noch oft gewesen, obwohl der Winter eigentlich balde vorbei sein sollte. Sie fragte sich, ob es nicht besser wäre, wieder zurück in die Stadt zu gehen. Dort gab es mehr zu essen und auch mehr Leute, denen sie die Brieftasche klauen konnte.
Sie fasste einen ziemlich dummen Entschluss, stand auf und wollte gerade aus dem Gebüsch hervor kommen, um den Typ nach einer Zigarette zu fragen. Doch dieser schaute sich gerade um, starrte in ihre Richtung und rief laut »Anni, komm sofort hier her.«
Sie zuckte zusammen als dieser Typ ihren Spitznamen rief. Wer war das? Kannte er sie vielleicht? Und viel wichtiger war, hatte er sie ebenfalls gesehen? Sie wollte gerade die Flucht ergreifen als sie hinter sich ein lautes Bellen hörte. Sie drehte sich um und sah einen kleinen, schwarzen Hund auf sich zu laufen. Verängstigt blieb sie wie angewurzelt stehen. Doch der Hund schien sich nicht im Geringsten für sie zu interessieren, sondern rannte an ihr vorbei auf diesen Typen zu, sprang schwanzwedelnd an ihm hoch und bellte. Der Typ legte dem Hund eine Leine an, kraulte ihn hinterm Ohr und gab ihm ein Leckerchen. In diesem Moment dachte sie daran, das es diesem Hund wahrscheinlich viel besser ging als ihr selbst. Dieser würde sicher zu Hause etwas zu fressen bekommen, vor einer warmen Heizung auf einer weichen Decke schlafen, vielleicht sogar bei diesem Typ im warmen Bett.
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Als die Dämmerung einsetzte, stand Frank auf, rief nach Anni, die aus dem Gebüsch hervor gerannt kam, gab ihr ein Leckerchen und nahm sie an die Leine. Dann ging er langsam um den See herum zum Auto. Er musste noch ein paar Kleinigkeiten einkaufen und zu Hause sein, bevor Marco, ein guter Bekannter kam. Dieser hatte ein neues Spielzeug bestellt und wollte es sich heute zum ersten Mal an sehen. So ging er gemächlich um den See herum und sinnierte darüber nach, wieso die Leute sich zu Ostern Eier schenkten und woher der Brauch kam, diese zu verstecken.
»Kann ich ’ne Zigarette haben?« Die Worte rissen ihn aus seinen Gedanken. Eine junge Frau, einen guten Kopf kleiner als er selbst, vielleicht Mitte zwanzig, so genau konnte er das unter den Schichten aus schmutziger Wäsche und Dreck nicht erkennen, stand neben ihm und schaute ihn an.
‚Warum eigentlich nicht?‘, dachte er sich, holte die fast leere Schachtel aus der Jackentasche und gab sie der Frau. »Hier, kannst du behalten«, sagte er und gab ihr noch ein Einwegfeuerzeug. Sie bedankte sich und ging weiter. Doch als sie an ihm vorbei ging, spürte er etwas in seiner Hosentasche. Schnell fasste er mit der Rechten nach dem Arm der Frau. Er erschrak darüber, wie dünn ihr Arm doch war und ließ sie beinahe gehen, als sie versuchte sich los zu reißen. Doch er schaffte es gerade noch so, sie zu halten.
»Das vergisst du mal lieber schnell wieder«, sagte er verärgert. So viel Undank ging ihm gegen den Strich. Gerade hatte er ihr seine letzten Zigaretten gegeben und nun versuchte sie, ihm seine Brieftasche zu klauen. Glücklicherweise befand sich diese nicht in seiner rechten Tasche, wo die meisten Leute diese aufzubewahren pflegten, sondern links. Aber ärgerlich wäre es trotzdem gewesen, denn in dem schmalen Mäppchen in seiner rechten Tasche befanden sich die meisten seiner Papiere und die wieder zu beschaffen wäre ziemlich aufwändig gewesen. Die Frau versuchte noch einmal, sich los zu reißen doch er hielt ihren Arm fest umklammert.
»Was soll das denn werden?«, fragte er sie, doch sie senkte nur den Kopf und zappelte weiter.
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‚So ein Mist, jetzt schleppt der mich zur Polizei oder schlimmeres‘, dachte Annika bei sich und wollte nur noch weg. Doch anstatt sie mit sich zu zerren oder auch nur laut zu werden, griff er mit der freien Hand in seine linke Gesäßtasche, holte eine Geldbörse heraus und gab ihr 20 Euro. »Kauf dir was Anständiges zu Essen«, sagte er und gab ihr den Schein. Annika nahm den Schein entgegen und starrte auf seine linke Hand. Am Ringfinger hatte er einen ziemlich breiten Ring. Auf diesem Ring war ein kleinerer Ring befestigt, der sich bei jeder Bewegung hin und her bewegte. Als er sie los lies, starrte sie noch immer fasziniert auf diesen Ring, anstatt gleich los zu laufen. Doch als er die Hand wieder zurück nahm, fasste sie sich und rannte, was das Zeug hielt. Erst als sie außer Sichtweite war, blieb sie stehen und hielt sich die Hüfte, die vom ungewohnten Laufen schmerzte, so daß sie kaum noch Luft bekam. Sie drehte sich um, wartete noch ein paar Minuten auf dem Weg und ging dann zurück. Sie wollte in den Ort gehen, um sich beim Discounter ein paar Flaschen billigen Wodka und vielleicht auch noch etwas zu Essen zu kaufen. Als sie an der Stelle an kam, an dem sie auf diesen Typen getroffen war sah sie etwas auf dem Weg liegen. Es glänzte hell im letzten Licht der untergehenden Sonne. Sie bückte sich und sah, daß es der Ring war, den er getragen hatte. Er musste ihn hier verloren haben. Sie nahm ihn an sich und überlegte, was sie damit anfangen konnte. Vielleicht war er ja sogar etwas wert und sie konnte ihn verkaufen. Doch aus irgend einem Grund erschien es ihr nicht richtig. Dieser Mann hatte ihr eine, wenn auch fast leere, Schachtel Zigaretten, ein Feuerzeug und selbst als sie ihn beklauen wollte, sogar noch Geld gegeben. Da erschien es ihr falsch den Ring einfach zu verkaufen. Ohne groß darüber nach zu denken, lief sie den Weg entlang, in die Richtung, in die er gegangen war. Sie wollte ihm den Ring zurück geben.
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Als Frank die Kofferraumklappe seines Kombis öffnete, um Anni hinein zu lassen, bemerkte er, daß der Ring fehlte. Er klopfte seine Taschen ab, fand ihn aber nicht.
‚Na klar doch. Dieses kleine Biest hat ihn sich gekrallt‘, dachte er sich, schloss den Kofferraum und schaute sich verärgert um. Viel Spaß würde sie damit nicht haben. Den Ring hatte er selbst aus billigem Stahl angefertigt. Er war so gut wie überhaupt nichts wert. Was ihn viel mehr ärgerte, war nicht der Verlust, sondern die Frechheit und der Undank dieser Frau. Wütend stieg er ins Auto, startete den Motor und fuhr zum Supermarkt, wo er ein paar Backzutaten und eine Flasche von seinem Lieblingswhisky kaufte. Die wollte er am Wochenende mit ein paar Freunden trinken. Und vielleicht würde er heute Abend noch ein großes Glas davon zu sich nehmen, um seinen Ärger herunter zu spülen. Doch vorher kam Marco noch, um das neue Spielzeug an zu sehen das er für sich und Claudia, seine Freundin bestellt hatte.
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Aus der Ferne sah Annika den Mann gerade in einen alten Kombi steigen und weg fahren. ‚Verdammt, zu langsam‘, dachte sie noch als ihr einfiel, daß sie dieses Auto und auch den Hund schon einmal gesehen hatte. Sie musste nicht lange überlegen, bis ihr einfiel, wo das gewesen war. Auf ihren Streifzügen durch den Ort hatte sie das Auto vor ein paar Tagen erst gesehen. Das war letztes Wochenende gewesen. Es stand in der Einfahrt zu einem Einfamilienhaus in einer Wohnstraße, in der sie in den Mülltonnen etwas Essbares gesucht hatte. An das Auto erinnerte sie sich genau, denn so dunkle Kombis mit knallgelber Heckklappe gab es sicher nicht viele. Und der Hund saß auf einer Fensterbank in dem selben Haus hinter einem Fenster und schaute auf die Straße. Sie beschloss, zu diesem Haus zu gehen und den Ring einfach in den Briefkasten zu werfen und machte sich auf den Weg.
Als sie an diesem Haus an kam, stand das Auto nicht in der Einfahrt. Sie hoffte, daß der Typ nicht nur zu Besuch gewesen war und beschloss, noch eine Weile zu warten, ob er zurück kam. Doch hier auf der Straße wollte sie nicht warten und so schlich sie sich über den schmalen Kiesweg der neben dem Haus entlang in den Garten führte, um dort zu warten. Das Haus sah vom Garten aus gesehen, selbst im Dunkel, ein wenig herunter gekommen aus. Die recht große Garage neben dem Haus hatte eine Tür, die in den Garten führte. Warum sie das tat, wusste sie nicht, doch sie drückte die Klinke herunter und wunderte sich das diese nicht verschlossen war. So ging sie hinein und zog sie hinter sich zu.
Es war warm in dieser Garage und so beschloss Annika sich ein wenig aufzuwärmen. Sie suchte sich einen Platz zum Sitzen, doch es dauerte eine ganze Weile bis sich ihre Augen an die Dunkelheit gewöhnt hatten, selbst wenn sie den Schalter gefunden hätte, Licht wollte sie auf keinen Fall machen und so setzte sie sich einfach auf eine Kiste, die an einer Wand stand. Die ganze hintere Hälfte der Garage schien voll gestellt zu sein mit Schränken, einer Werkbank und anderen Teilen die sie im Dunkel nicht zuordnen konnte. Irgend wann, sie hatte sich einfach mit dem Rücken an die Wand gelehnt, musste sie eingedöst sein. Erst als jemand an dem Garagentor zerrte und laut »Frank, bist du da drinne?«, rief, wachte sie auf und stand vor Schreck kerzengerade. Würde derjenige der an dem Tor stand oder sogar der Besitzer der Garage hier rein kommen? Sie versuchte sich zu orientieren und wollte zu der Hintertür wieder hinaus gehen. Doch diese war jetzt verschlossen und so suchte sie sich einen Platz zum Verstecken. Ihre Augen hatten sich mittlerweile an die Dunkelheit gewöhnt und so fand sie schnell eine schmale Ecke ganz hinten, hinter einem Tisch und mehreren Kisten, in die sie sich verkriechen konnte. Neben der Öffnung zu dieser Ecke stand ein Gitter, über dem eine Decke hing. Sie versuchte, beides vor die Öffnung zu ziehen, um unentdeckt zu bleiben und mit einem metallischen Scheppern hakte sich das Gitter irgend wo ein und ließ sich nicht mehr bewegen. Dabei fiel die Decke vor die Öffnung und schützte sie davor entdeckt zu werden, wie sie hoffte. In dem Moment öffnete sich die eben noch verschlossene Hintertür und das Licht ging an.
‚Gerade noch rechtzeitig‘, dachte sie sich. Sie schaute vorsichtig an der rauen Wolldecke vorbei und sah den Mann, den sie am See getroffen hatte, gefolgt von einem anderen Mann und dem Hund in die Garage kommen. Der Hund kam zu ihrer Ecke und schnupperte, drehte sich aber zum Glück um und ging mit den beiden Männern in den vorderen Teil der Garage wo die Beiden sich über irgend etwas unterhielten, daß der eine gebaut hatte und der andere wohl kaufen wollte.
»Verdammt, jemand ist hier gewesen«, hörte sie auf einmal eine Stimme sagen. Sie versuchte zu sehen was gerade vor sich ging und sah zwischen ein paar Kisten hindurch die beiden Männer an einem Bildschirm stehen und der eine zeigte darauf.
»Fehlt denn was?«, fragte der andere Mann, was der Erste verneinte. Die Beiden unterhielten sich noch eine ganze Weile bis sie auf einmal ein heller, blauer Lichtblitz blendete und ihr die Sicht nahm. Es folgten noch weitere Lichtblitze und ein brutzelndes Geräusch. ‚Klar, die Schweißen was‘, dachte Annika. Balde wurde es wieder ruhig und die Männer unterhielten sich noch eine Weile bis sie sich endlich voneinander verabschiedeten und die Garage durch das Tor verließen. Das Licht ging aus und es wurde wieder still.
Noch immer hatte Annika helle Punkte vor den Augen, sie hatte beim ersten Mal genau in den Lichtblitz geschaut und ihre Augen brannten noch davon. Aber irgend wann hatten ihre Augen sich wieder an die Dunkelheit gewöhnt und auch die Punkte waren aus ihrem Sichtfeld verschwunden. So machte sie sich daran, die Ecke wieder zu verlassen. Doch das Gitter, welches sie vor die Öffnung zu der Ecke gezogen hatte, ließ sich nicht mehr weg schieben. So sehr sie auch daran rüttelte und drückte, es bewegte sich keinen Millimeter. Sie versuchte es an den Seiten, doch auch dort waren Gitter, ebenso hinter und über ihr. Ihr dämmerte, das sie in einem Käfig fest steckte. Verzweifelt versuchte sie wieder die vermeintliche Tür zu öffnen, suchte nach einem Riegel oder Verschluss, mit dem sie sich öffnen ließ, konnte aber nichts dergleichen finden, so sehr sie auch alles ab tastete. Das Einzige, was ihr auffiel, war eine kleine Öffnung in der Tür. Sie war in etwa in der Mitte, unten halb rund und nach oben offen. Obwohl diese Öffnung ziemlich schmal war, versuchtet sie sich hindurch zu zwängen. Aber gerade als sie ihren Kopf hindurch gesteckt und diesen ganz nach unten gedrückt hatte, um mit dem Arm hindurch greifen zu können, hörte sie ein metallisches Schaben und dann ein schweres Scheppern direkt neben ihren Ohren. Vor Schreck wollte sie den Kopf wieder aus der Öffnung nehmen doch das ging nicht mehr. Irgend etwas hatte ihren Hals umschlossen und hielt ihn fest. Sie tastete nach oben und fühlte einen kalten Reif, der ihren Hals nun komplett umschlossen hatte. Darüber befand sich eine senkrechte Eisenstange, welche die obere Hälfte des Reifes fest hielt. Sie versuchte mit aller Kraft diese wieder nach oben zu drücken, doch anscheinend war diese irgend wie blockiert.
»Verdammte Scheiße, wer lässt sich denn so einen kranken Mist einfallen?«, schrie sie laut aber niemand antwortete ihr. Sie war gefangen und niemand war da, der sie befreien konnte. Verzweiflung machte sich in ihr breit und sie rüttelte an den Stäben ihres Gefängnisses bis sie keine Kraft mehr hatte und Tränen ihre Wange herab liefen. Leise weinend döste sie irgend wann in dieser unbequemen Position ein.
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Frank saß in seinem kleinen Arbeitszimmer und beobachtete die verzweifelten Versuche der jungen Frau sich zu befreien, am Monitor seines Computers. Er hatte vorhin, als Marco noch da war, schon die Aufzeichnung der Kamera, die in der Ecke der Garage an der Decke hing, betrachtet und gesehen, daß sie sich in dem noch unfertigen Käfig versteckt und sich selbst eingeschlossen hatte. Er war sich noch unschlüssig darüber, was er mit ihr anstellen sollte. Er war nun noch mehr verärgert als schon am See. Nicht nur seinen Ring hatte sie ihm geklaut, nun war sie auch noch in seine Garage eingebrochen, um ihn aus zu rauben.
‚Geschieht ihr vollkommen recht‘, dachte er als er ihre verzweifelten Versuche betrachtete, sich zu befreien die sie allerdings nur in eine noch unbequemere Position brachten. Dieser Käfig war zwar eigentlich nicht dazu gedacht, Einbrecher zu fangen, sondern um Frauen ein zu sperren, die das freiwillig mit sich machen ließen, aber anscheinend war er auch dazu nützlich.
Als er sah, daß sie offenbar eingeschlafen war, fasste er einen Entschluss. Er ging in die Küche, kochte Kaffee und wärmte Ravioli aus der Dose auf. Sie hatte keine Gelegenheit gehabt, noch etwas zu stehlen und der Schock, in dem Käfig gefangen zu sein war ihr sicher eine Lehre, nicht noch einmal irgend wo einzubrechen. Bevor er sie laufen ließ, wollte er ihr aber zumindest noch etwas zu essen geben. Sie sah trotz des dicken Parkas, der Pudelmütze und der schmierigen Hose unter denen ganz sicher noch mehr Schichten Kleidung steckten, ziemlich dürr und ausgehungert aus.
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Annika wachte auf, als das Licht an ging. Reflexartig wollte sie den Kopf zurück ziehen, was ihr aber nicht gelang. Satt dessen stieß sie sich an dem Eisen und ließ einen Schmerzlaut vernehmen. Sie sah sich um, konnte aber niemanden sehen. Nur der Geruch von Kaffee und warmen Essen hing in der Luft.
»Erst mein Geld klauen wollen, mir den Ring vom Finger ziehen und dann auch noch einbrechen. Sowas nenne ich ja mal echte Dankbarkeit«, sagte jemand streng. Sie hob den Kopf so gut es ging und schaute dem Mann vom See, der nun vor ihr kniete, direkt ins Gesicht. Sie ließ den Kopf hängen und blickte zu Boden.
»Sieh mich gefälligst an, wenn ich mit dir rede«, sagte er, worauf hin sie den Kopf hob und ihm direkt in die Augen sah. »Reichen dir die Zigaretten und die 20 Euro nicht? Musst du statt dessen noch mehr klauen?«, fragte er. Seine Stimme klang hart und voller Ärger.
Tränen schossen ihr in die Augen, bahnten sich einen Weg ihre verdreckten Wangen herab und fielen auf den Beton des Fußbodens. »Ich habe den Ring nicht geklaut. Er lag auf dem Weg und ich wollte ihn wieder zurück bringen«, sagte sie leise und unter Tränen.
»So, und warum hast du ihn mir nicht am See schon gegeben?«, wollte er wissen. Es klang nicht so als würde er ihr glauben.
»Als ich ihn gefunden hab, waren Sie schon weg. Ich bin hinterher gelaufen bis zum Parkplatz. Und Sie sind gerade weg gefahren.« Sie schluchzte nur noch leise.
Frank öffnete die Klappe in der Tür. »Zieh den Kopf ein«, befahl er ihr. Sie tat, was er sagte. Darauf hin öffnete er mit einem Schlüssel die Tür des Käfigs und hielt ihr die Hand hin.
Fragend sah sie ihn an. »Los. Komm schon da raus«, befahl er.Ohne die ihr hingehaltene Hand zu nehmen, krabbelte sie aus dem Käfig heraus und rannte zu der Hintertür. Doch diese war fest verschlossen.
»Vergiss es, die ist zu, genau wie vorne. Und bis die Polizei hier ist, lass ich dich auch nicht raus. Da steht was zu Essen und trinken.« Er deutete nach vorne. Tatsächlich standen auf der Werkbank ein dampfender Teller mit Nudeln, eine Tasse die ebenfalls dampfte und eine Flasche Cola.
»Bitte, keine Polizei, ich mache auch alles, was sie wollen, aber bitte keine Polizei rufen«, sagte sie. Wieder schossen ihr Tränen in die Augen.
»Was sollte mich denn daran hindern?«, fragte er.
»Ich mache wirklich alles, was Sie wollen«, sagte sie mit verzweifeltem Blick, zog den Parka aus und wollte ihre Hose öffnen.
Sie sah ihn groß an, als er lachte.
»Lass mal stecken. Wer weiß, was ich mir da alles hole. Ess lieber was.« Wieder deutete er nach vorne.
Langsam drückte sie sich an ihm vorbei, ging zu der Werkbank, setzte sich auf den Stuhl, der vor dieser stand und begann gierig, die Nudeln zu essen. Er kam ihr langsam nach und setzte sich auf ein seltsam aussehendes Gestell das auf dem Boden neben der Werkbank stand. Er schaute ihr eine Weile zu und als sie den Teller leer gegessen und auch noch die Sauce abgeleckt hatte, fragte er »Und wie hast du mich hier gefunden?«
Sie erzählte ihm das sie sich daran erinnert hatte, wo sie das Auto schon mal gesehen hatte und wirklich nur den Ring zurück bringen wollte. Sie fasste in ihre Hosentasche, holte diesen heraus und hielt ihn ihm hin.
Er nahm ihn in die Hand, steckte ihn in die eigene Hosentasche. »Danke«, sagte er. »Damit hätte ich nicht gerechnet.« Er betrachtete sie eingehend von unten bis oben. »Wenn du willst, kannst du noch was haben.« Er zeigte auf den Teller. Sie überlegte nicht lange und nickte nur.
»Dann komm mit«, sagte er und ging zur Hintertür. Er drückte die Klinke herunter und öffnete sie einfach. Anscheinend gab es irgend einen Trick, um die Tür zu öffnen. Langsam und unsicher folgte sie ihm. Er ging eine Treppe hinunter und durch eine Holztür. Sie befanden sich nun in einem Keller in dem Waschmaschine und Trockner standen und in einer Ecke befand sich eine Dusche und daneben ein Waschbecken.
»So kommst du mir nicht ins Haus. Zieh dich aus und dusch dich erst mal.«
Sie sah ihn groß an. »Keine Angst, ich tu dir nichts. Und so lange du so stinkst fass ich dich sowieso nicht an.« Er lachte und verschwand durch eine andere Tür. Sie bemerkte, daß er zwar den Riegel an der Tür vor geschoben hatte, aber als sie diesen zur Seite schob, ließ sich die Tür einfach öffnen. Sie war also nicht seine Gefangene, stellte sie fest. Was hatte sie denn auch schon zu verlieren? Dermaßen dreckige Kleidung wollte sicher niemand haben. Und was, wenn er mit ihr schlafen wollte? ‚Was soll’s, wäre nicht das erste Mal. Und wenigstens hab ich was zu essen bekommen‘, dachte sie und zog ihre Sachen aus. Sie stellte entsetzt fest, wie schmutzig sie war. Ihre Hände waren im Gegensatz zu ihren Armen regelrecht schwarz vor Dreck. Im Spiegel, der über dem Waschbecken hing, sah sie, das ihr Gesicht genau so schwarz wie ihre Hände waren. Ihr Körper dagegen war noch relativ hell, dafür war der Dreck in ihren Kleidern. Ihre Haare klebten verfilzt auf ihrem Kopf.
Sie ging zur Dusche und stellte das Wasser an. Es dauerte einen Augenblick bis es warm wurde. Sie stellte die Temperatur auf ein erträgliches Maß ein, ging in die Duschkabine und zog die Tür zu. Mit viel Duschgel wusch sie zuerst ihre Haare und versuchte dann den Rest ihres Körpers vom Dreck zu befreien. Kein Wunder das er so angeekelt von ihr war. Das Wasser welches von ihrem Körper in den Abfluss lief, war ganz dunkel und erst, nachdem sie sich mehrmals mit viel Duschgel gewaschen und die Haare noch einmal gewaschen hatte, blieb der Schaum der im Abfluss verschwand weiß.
Sie genoss es nach so langer Zeit endlich wieder zu duschen und ließ das warme Wasser noch lange über ihren Körper laufen.
»Fertig?«, hörte sie seine Stimme und drehte sich um. Er stand direkt neben der durchsichtigen Duschkabine. »Ich hab dir ein paar Sachen raus gelegt. Ist zwar bestimmt nicht deine Größe, aber besser als gar nichts«, sagte er.
»Ja, fertig,« sagte sie »glaube ich.«
»Dann nimm noch mal Seife und wasch dich noch mal. Deine Sachen pack ich derweil in einen Sack. Zu Waschen ist da nichts mehr, die sind eher ein Fall für die Müllverbrennung«, sagte er. Sie konnte sehen wie er trotz Gummihandschuhen ihre Sachen mit spitzen Fingern schüttelte, die Taschen ausleerte und ihre Kleider in einen blauen Sack steckte. Viel hatte er nicht aus ihren Taschen geholt. Nur die Schachtel Zigaretten mit Feuerzeug, ihren Ausweis, etwas Kleingeld und den 20Euroschein legte er auf die Waschmaschine, mehr war in ihren Taschen nicht zu finden. Die Handschuhe stopfte er ebenfalls in den Müllsack, den er schnell zu band und vor die Tür stellte.
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Annika Maria Werner, 26 Jahre alt und ohne festen Wohnsitz, so stand es in dem Ausweis den Frank betrachtete. Das Gesicht auf dem Ausweis sah ziemlich hübsch aus. Schulterlange, rote Haare und einige Sommersprossen konnte er auf dem Bild erkennen. Er hielt die Plastikkarte ins Waschbecken und reinigte sie mit etwas Seife bevor er sie wieder zu den kläglichen Besitztümern zurück legte, die sie bei sich hatte. Sie hatte es endlich geschafft das warme Wasser ab zu stellen und wollte die Duschkabine verlassen. »Hier ist ein Handtuch.« Er hielt ihr das riesige, blaue Frottee direkt unter die Nase. »Danke«, sagte sie leise, legte es sich um die Schultern und trocknete sich ab. Erst als er wieder verschwand, trat sie aus der Dusche heraus. Als sie endlich trocken war, nahm sie die Sachen, die er ihr zurechtgelegt hatte und versuchte, sie an zu ziehen. Doch bereits die Boxershorts waren ihr mindestens drei Nummern zu groß. Sie schaute sich das Etikett an. Größe sieben. Kein Wunder das die rutschen. Aber besser als gar nichts. Das Band der Trainingshose musste sie ziemlich weit heraus ziehen und fest zusammen binden, damit sie nicht rutschte und die Socken waren ebenfalls mindestens zehn Nummern zu groß und rutschten ihr von den Füßen. Nur das Sweatshirt machte weniger Probleme, auch wenn sie die Ärmel mehrmals umkrempeln musste damit ihre Hände aus diesen überhaupt heraus schauten. Sie betrachtete sich erneut im Spiegel und gefiel sich so schon viel besser als noch vor einer viertel Stunde. Nur ihre Haare waren noch immer verfilzt und sie war sich nicht sicher, ob es nicht besser wäre, sie einfach ab zu schneiden. Denn diesen Filz heraus zu kämmen würde sicher Stunden dauern und ziemlich weh tun.
»Sieht ja echt schlimm aus«, sagte der Mann, der plötzlich hinter ihr stand und sie beobachtete wie sie versuchte, ihre Haare wenigstens etwas ordentlicher hin zu bekommen. »Setz dich.« er schob ihr einen Hocker hin und nahm eine Bürste, die auf dem Waschbecken lag, stellte sich hinter sie und begann ihre Haare zu bürsten. »Tut vielleicht etwas weh, aber ich glaube, das ist dir lieber als abschneiden.«
Er nahm vorsichtig eine Strähne nach der Anderen in die Hand und bürstete sie von unten nach oben mehrmals durch, bis sich keine Knoten mehr bemerkbar machten. Immer wieder nahm er eine rosa Sprühdose und sprühte den Inhalt auf die Haare. »Ist noch von meiner Tochter, also nicht wundern.« Er grinste leicht verlegen, wie sie im Spiegel sah.
Anfangs war es ihr etwas unangenehm, das ein Fremder sie einfach so anfasste. Sie war jetzt so lange alleine gewesen das sie sich schon fast nicht mehr daran erinnerte, wie es war, von jemandem berührt zu werden. Doch nach einigen Minuten machte es ihr überhaupt nichts mehr aus, das er während er ihre Haare bürstete natürlich auch ihren Kopf berührte, diesen mal hierhin und mal dort hin drehte.
»Übrigens, ich heiße Frank. Wie soll ich dich nennen? Annika oder Maria?«
»Ich glaube, Anni ist dein Hund, oder?«
Er lachte. »Ja, die heißt Anni. Aber ich glaub, das macht ihr nichts.«
»Dann bitte Annika. Maria haben mich meine Eltern immer genannt«, sagte sie ohne weiter zu erklären, was ihr daran nicht passte.
Nach einer guten halben Stunde oder vielleicht auch mehr, so genau konnte sie das nicht abschätzen, war er mit ihren Haaren so weit durch, daß sie diese selbst komplett durchbürsten konnte. Und dabei hatte er nicht einmal all zu viele Strähnen abschneiden müssen.
»Sieht schon viel besser aus«, sagte er und betrachtete sie nun genauer. Ihre Haare sahen nun fast so aus, wie auf dem Ausweisbild. Nur etwas länger. Sie hatte grüne Augen und obwohl sie ziemlich abgemagert aus sah ein schönes Gesicht.
»Danke«, sagte sie leise.
»Kein Ding. Wenn man ne kleine Tochter hat, na ja, so klein ist sie jetzt nicht mehr, dann lernt man sowas«, sagte er und schaute ein wenig wehmütig aus. »Wann hast du dir das letzte mal die Zähne geputzt?«, fragte er und hielt ihr eine Zahnbürste hin.
Sie stellte sich vor den Spiegel, öffnete den Mund und zeigte ihm die Zähne, die erstaunlich gut aussahen. Sie nahm die Zahnbürste, und sah dabei das er den Ring wieder trug. Während sie Zahncreme auf diese gab, sagte sie »Heute Morgen.«
Bevor sie die Zahnbürste in den Mund steckte und begann die Zähne ziemlich gründlich zu putzen fragte sie »Was hat es mit dem Ring eigentlich auf sich? So einen hab ich noch nie gesehen.«
Er lachte. »Der Ring sagt, das ich pervers bin«, gab er offen zu. »Und das ich ihn links trage, heißt, daß ich lieber selber haue und mich nicht verhauen lasse.« Sie verschluckte sich am Schaum und musste husten.
»Guck nicht so entsetzt. Ich tu niemandem was, der das nicht will«, lachte er.
Es dauerte eine Weile bis sie wieder normal atmen konnte. Sie spülte sich den Mund aus und schaute ihn mit großen Augen an.
»Deshalb der Käfig in der Garage?«, fragte sie. Sie war nun deutlich verunsichert.
»Ja, aber der gehört mir nicht. Ich arbeite ihn für einen Bekannten um«, erklärte er. Er schien nicht die geringsten Probleme haben, darüber offen zu reden. »Wenn du fertig bist, dann lass uns nach oben gehen, dann mach ich dir noch was zu Essen.«
Sie folgte ihm verunsichert aus dem Keller nach oben und fragte sich, wie wohl die Wohnung eines Perversen so aussehen würde. Doch die Küche, in die er sie führte, schien ihr ganz normal.
»Ravioli sind leider aus.« Er nahm eine Dose aus einer Schublade und gab sie ihr. Sie schaute entsetzt auf die Dose. Es war Hundefutter, sollte sie das etwa essen?
»Da in der Schublade sind Gabeln, mach doch davon bitte mal was in den Napf.« Er deutete auf einen leeren Napf der neben einem mit Papier gefüllten Mülleimer stand. Direkt daneben stand ein weiterer Napf mit Wasser. Er selbst holte eine große Schüssel aus einem Schrank, schlug zwei Eier auf und gab etwas Mehl dazu. Während sie erleichtert das Hundefutter in den Napf gab, begann er den Teig mit einem Schneebesen um zu rühren und gab einige Gewürzkräuter hinein. Er schnitt etwas Schinken und Käse in den Teig, holte eine Pfanne hervor und begann Pfannkuchen zu backen. Während dessen war der kleine schwarze Hund angekommen und machte sich über das Hundefutter her.
»Du guckst immer noch so entsetzt. Was denkst du denn? Daß ich dich in einem Käfig schlafen lasse oder dir Hundefutter zu essen gebe?« Er grinste amüsiert. »Wenn du das willst, kannst du das gerne haben, aber ich würde dir eher die Couch zum Schlafen und die Pfannkuchen zum Essen empfehlen. Die Couch ist wesentlich bequemer als ein Käfig und Hundefutter schmeckt bestimmt nicht so gut wie die hier.« Er hielt ihr einen Teller hin, auf dem zwei große Pfannkuchen lagen.
»Danke«, sagte sie leise, nahm eine Gabel aus der Schublade und setzte sich an den großen Esstisch der auf der anderen Seite der Küche stand.
Er setzte sich ihr gegenüber und beobachtete sie beim Essen. »Warum lebt ein so hübsches Mädchen wie du eigentlich auf der Straße?«, fragte er.
Sie begann zögernd zu erzählen, daß ihre Eltern sich hatten scheiden lassen als sie 14 war und ihre Mutter kurz darauf mit einem anderen Mann nach Südafrika gegangen war. Ihr Vater hatte sie nie richtig verstanden und als sie in der Schule immer schlechter wurde und dann auch noch den Abschluss versaut hatte, war er wütend und hatte sie mit 17 aus dem Haus geworfen. Sie kam eine Weile bei einer Freundin unter, doch deren Eltern hatten sie nach einer Weile auch auf die Straße gesetzt. Da sie keine anderen Verwandten hatte, bei denen sie unter kommen konnte, die Großeltern hatten sie gar nicht erst ins Haus gelassen, lebte sie seit dem auf der Straße. Sie hatte sich mit kleinen Diebstählen und Betteln über Wasser gehalten, schlief meist in irgend welchen Obdachlosenheimen oder auch mal im Wald, wenn es warm genug war. Im Winter, so erzählte sie weiter war es besonders schlimm. Dann war sie immer wieder den Übergriffen anderer ausgesetzt und blieb nie lange an einem Ort.
Je länger sie erzählte, desto mehr füllten sich ihre Augen mit Tränen. Irgend wann liefen diese ihr die Wange herunter und sie begann leise zu weinen. Mit hängendem Kopf saß sie am Tisch vor ihrem mittlerweile leeren Teller und starrte vor sich hin.
Frank ging um den Tisch herum, zog einen Stuhl heran und setzte sich neben sie. Vorsichtig legte er einen Arm um ihre Schulter. Sie lehnte den Kopf an seine Schulter und weinte.
Es dauerte eine ganze Weile bis sie sich wieder beruhigt hatte. »Komm, wir gehen nach oben, da kannst du dich hin legen und aus schlafen. Morgen früh sehen wir weiter.« Er stand auf, nahm sie an die Hand und ging mit ihr die Treppe hinauf. In einem kleinen Wohnzimmer, bestimmt nur halb so groß wie die Küche, setzte er sie auf die Couch, verschwand durch einen Vorhang und kam kurze Zeit später mit ein paar Wolldecken, einem Betttuch und einer dicken Daunendecke wieder. Er zog die Couch aus, legte eine Wolldecke und das Betttuch darüber und gab ihr auch noch ein dickes, weiches Kissen. »Hier, das kannst du als Nachthemd an ziehen denke ich.« Er gab ihr ein großes T-Shirt, welches ihr bestimmt bis zu den Knien reichte. »Ist mir selbst zu groß.«
»Wenn was ist, ich bin neben an. Kannst dich ruhig um sehen. Ich muss noch was erledigen.« er ging durch eine schmale Schiebetür in sein Arbeitszimmer und schaltete den Computer ein.
Annika schaute sich im Zimmer um. An der Wand standen Regale mit vielen Büchern und DVDs. Sie ging leise durch den Vorhang und stand tatsächlich in einem Zimmer das voll gestellt mit Kleiderschränken und Regalen nur zum Anziehen da zu sein schien. Die nächste Tür führte in ein ganz gewöhnliches Schlafzimmer. Neben einem großen Bett standen zwei Nachttische. Auf einem davon stand ein tragbarer Computer. Nun war ihr klar, wieso es ein Zimmer gab, in dem nur Kleiderschränke standen. Das Schlafzimmer war unter einer Dachschräge und es gab gerade einmal Platz für das Bett. In dem Ankleidezimmer gab es noch eine weitere Tür, neugierig öffnete sie diese und stand vor einer schmalen, recht steilen Treppe.
»Da geh bitte nur hoch, wenn du mir versprichst, dich nicht zu erschrecken«, sagte Frank, der auf einmal hinter ihr stand.
Sie nickte nur und ging vorsichtig die Treppe nach oben. Frank blieb unten und ging wieder zurück in sein Arbeitszimmer.
Sie fragte sich, was sie dort oben erwarten würde und was so schlimm sein könnte, daß sie sich erschrecken sollte. Diese Frage beantwortete sich ihr, als sie oben angekommen war. Der große Raum unter der Dachschräge war voll mit seltsamen Möbeln. Das Einzige, was sie wirklich davon hätte benennen können, war ein Gestell aus Holz. In etwa einem Meter Höhe befand sich ein breites Brett mit drei runden Ausschnitten. Der Mittlere war etwas größer als die Beiden an den Seiten. Diese Ausschnitte waren alle mit weichem Leder gepolstert. Das Brett war auf Höhe der Mitte dieser Ausschnitte geteilt und mit einem Scharnier versehen. ‚Ein Pranger‘ schoss es ihr durch den Kopf. Mehr fasziniert als abgeschreckt berührte sie das Holz und strich mit den Fingern darüber.
An der einzigen geraden Wand, gegenüber der Treppe, stand ein großes, schwarzes Kreuz, von der Form her ein Andreaskreuz, wie es an Bahnübergängen zu finden war. Es war komplett mit Leder gepolstert und mit mehreren Schnallen aus Leder bestückt. Obwohl sie keine Ahnung hatte, wie man so etwas nennt, war ihr der Zweck dieses Kreuzes natürlich sofort klar. Es diente dazu, jemanden daran zu fesseln. Sie stellte sich davor und ihr war klar, das jemand, der hier gefesselt war, vielleicht sogar nackt, absolut hilflos dem Jenigen ausgeliefert war, der sie dort angebunden hatte. Die Funktion der beiden letzten Möbelstücke war ihr allerdings zuerst nicht ganz klar. Das eine war ein Gestell aus Eisen, mit vielen gepolsterten Flächen die man offenbar verstellen konnte. An diesen befanden sich ebenfalls viele Lederriemen mit Schnallen. Also diente auch das dazu, jemanden zu fesseln. Probehalber kniete sie sich auf die Flächen, legte den Kopf in eine Art gepolsterte Schale und stellte sich vor, wie es wäre hier drauf gefesselt zu sein. Erschreckt stand sie wieder auf, als sie bemerkte, daß diese Vorstellung sie erregte und es zwischen ihren Beinen dabei feucht wurde.
Nur bei dem letzten Stück war ihr überhaupt nicht klar, wozu es dienen sollte. Es sah aus wie ein ganz einfacher Sägebock. Nur das dessen obere Kante nicht aus Holz, sondern einer dünnen, runden Metallstange bestand. An den Füßen des Bockes gab es mehrere Ringe in denen Lederriemen befestigt waren. Sie überlegte kurz, stellte sich dann über diesen Bock und setzte sich auf die Metallstange. Das war zuerst nicht einmal unangenehm doch als sie weiter in die Knie ging, drückte sich die Metallstange trotz der Trainingshose und der Boxershorts fest zwischen ihre Schamlippen. Zuerst fand sie es gar nicht mal schlimm doch nach einem Augenblick merkte sie, daß es sicher ziemlich schmerzhaft wäre dort für längere Zeit angebunden zu sein und sich nicht regen zu können. Doch anstatt abgeschreckt zu sein spürte sie nur, wie sich ihre Erregung noch weiter steigerte, bei dem Gedanken daran auf diesem Bock fest gebunden zu sein, wenn sich diese Stange schmerzhaft zwischen ihre Schamlippen drücken würde und sie jemand vielleicht sogar mit einer der Peitschen die in Halterungen an der Wandschräge hingen schlagen würde.
Sie stand schnell wieder auf und versuchte den Gedanken zu verdrängen. Wieso reagierte sie so erregt auf diese Dinge? Jeder normale Mensch wäre doch eher abgeschreckt von so etwas dachte sie. Sie wollte wieder nach unten gehen. Dabei musste sie an dem Pranger vorbei. ‚Nur einmal versuchen, wie es sich anfühlt. Da ist ja nichts dabei‘, dachte sie. Sie öffnete den Pranger, legte das linke Handgelenk und den Kopf in die dafür vorgesehenen Ausschnitte. Mit der Rechten ließ sie die obere Hälfte des Brettes langsam herunter, hielt es mit dem Kopf offen und legte dann auch die rechte Hand in die Aussparung. Sie ließ den Kopf langsam nach unten bis sich die beiden Hälften des Brettes berührten und ihre Handgelenke und den Hals zwar nicht sonderlich fest aber dennoch so weit umschlossen, das ein Entkommen unmöglich gewesen wäre, wenn der Pranger verschlossen war. So schlimm fühlte sich das nicht einmal an. Doch in dem Moment als sie das Brett wieder anheben wollte, hörte sie ein leises Klappern, als der Verschluss, der am oberen Brett befestigt war, herunter fiel und in seinem Gegenstück einrastete. Entsetzt versuchte sie, das Brett an zu heben, doch auch ohne das der Verschluss mit einem Schloss gesichert war, gab es für sie kein Entkommen. Sie hatte es heute zum zweiten Mal geschafft sich selbst irgend wo so einzuschließen, das sie ohne fremde Hilfe nicht heraus kam. Und wieder hing sie mit dem Kopf irgend wo fest wo er eigentlich nichts zu suchen hatte. So sehr sie auch versuchte, den Verschluss mit den Fingerspitzen zu greifen und zu öffnen, sie schaffte es nicht einmal diesen auch nur zu erreichen. So blieb ihr nichts anderes übrig, als um Hilfe zu rufen. Sie hoffte inständig das Frank die Situation nicht ausnutzen, sondern sie so schnell es ging los machen würde. Ein anderer Gedanke kam ihr allerdings in den Kopf. Sie fragte sich, was passieren würde, wenn er es doch tun würde. Erst als sie merkte, daß sie auch dieser Gedanke nicht abschreckte, sondern sogar noch erregte, bekam sie Angst. Nicht davor, was passieren könnte, sondern vor sich selbst. So mit sich selbst und ihren eigenen Gedanken beschäftigt hörte sie nicht, wie Frank die Treppe hinauf kam und sie sah auch nicht das er vor ihr stand und breit grinste.Erst als er sich vor sie hockte und »Anscheinend hast du ja ein Faible dafür deine Nase in Sachen zu stecken, wo sie nicht rein gehört« sagte, bemerkte sie das er wohl schon eine ganze Weile dort gestanden und sie beobachtet hatte.
»Was muss man tun, damit man es verdient in sowas eingesperrt zu werden?«, fragte sie.
»Ganz einfach«, sagte er während er den Verschluss öffnete und das Brett an hob. »Man muss es selber wollen, mit allen Konsequenzen und allem was dazu gehört.«
»Und du hast jemanden der das mag?«, fragte sie.
»Nein, im Moment ziehe ich es vor, alleine zu leben. Oder meinst du, ich hätte dir meine Sachen gegeben, die dir nicht einmal ansatzweise passen, wenn ich andere hier hätte, die dir nicht mindestens um zwei oder drei X zu groß sind?« Er lachte. »Aber wer weiß, das kann sich ja jederzeit ändern.« Er zwinkerte ihr zu und sagte, als er die Treppe herunter ging »Pass besser auf, wo du deinen Kopf noch so rein steckst.« Dann war er wieder verschwunden. Von unten hörte sie wie jemand redete. Sie lauschte kurz und stellte fest, daß es offenbar der Nachrichtensprecher im Fernseher war.
Als sie wieder im Wohnzimmer stand, saß Frank auf der Couch, ein Bein auf dieser liegend, hatte eine Flasche Bier in der Hand und schaute sich die Nachrichten an.
»Na, sehr verschreckt?«, fragte er und sah sie an.
»Nein, überhaupt nicht«, sagte sie und war selbst überrascht von dieser Antwort.
»Dann bin ich ja beruhigt«, antwortete er. »Setz dich doch bitte, ich mag es nicht, wenn ich selbst sitze und jemand so rum steht.« Er deutete auf die Couch.
»Ähm, wo kann ich denn mal?«, fragte sie mit leicht gerötetem Kopf. Sie hatte das dringende Bedürfnis sich zwischen den Beinen ab zu trocknen.
»Ach so. Dir Tür raus und nach links.«
Sie ging durch die Tür in die besagte Richtung und schloss hinter sich die Tür. Als sie Hose und Unterhose herunter zog, sah sie die Bescherung. Sie war nicht nur ein wenig feucht, sondern regelrecht nass zwischen den Beinen. Mit viel Papier wischte sie sich trocken, ging noch einmal auf die Toilette und wusch sich die Hände. Es war ihr ein wenig unangenehm, die feuchte Unterhose wieder an zu ziehen. Also ließ sie diese aus und legte sie in den Wäschekorb neben der Tür. Nur mit der Trainingshose war es ihr allerdings auch ein wenig unangenehm. Doch eine andere Möglichkeit hatte sie ja nicht. Also ging sie so zurück ins Wohnzimmer, setzte sich auf die Couch und schaute auf den Fernseher. Doch wirklich auf das, was sie sah, konzentrieren, konnte sie sich nicht, zu sehr hingen ihre Gedanken noch an dem, was sie oben gesehen hatte und an ihren eigenen Gefühlen die sei dabei hatte.
»Was wären denn die Konsequenzen und was gehört denn alles dazu?«, fragte sie und biss sich auf die Lippen. Wie kam sie nur auf die blöde Idee auch noch danach zu fragen. Doch nun war es raus und zu spät für einen Rückzieher.
Frank setzte sich gerade hin, holte eine weitere Flasche Bier hinter der Couch hervor, öffnete sie und reichte sie ihr. »Willst du das wirklich wissen?«, fragte er und sah sie an. »Natürlich willst du, sonst hättest du vermutlich nicht gefragt.«
Sie trank einen Schluck. Erstaunt stellte sie fest, daß es nicht bitter, sondern eher süß und nach Zitrone schmeckte. Es war Radler und kein richtiges Bier. Sie betrachtete eingehend das Etikett während sie nickte.
»Tut mir leid, aber ich trinke kein Bier, nur das hier«, sagte er und beobachtete sie weiter.
»Tja, was gehört dazu und was sind die Konsequenzen?«, wiederholte er ihre Frage. »Dazu gehört auf jeden Fall zu aller erst Vertrauen. Ohne das geht sowas gar nicht. Und dann vielleicht noch ein gewisses Maß an Masochismus, also Gefallen an Schmerz. Das ist zwar nicht zwingend nötig aber für manche Sachen auf jeden Fall schon.«
Sie dachte an die Peitschen, die sie oben gesehen hatte und konnte sich nicht vorstellen, daß es jemandem gefallen würde, damit geschlagen zu werden. Doch ihr Körper sagte ihr genau das Gegenteil, alleine bei dem Gedanken daran spürte sie wieder ein Kribbeln zwischen den Beinen.
»Und was wären die Konsequenzen?« Frank sah sie an und sprach weiter. »Die möglichen Konsequenzen sind freiwillige Unterwerfung bis hin zur völligen Selbstaufgabe. Aber ganz ehrlich, das ist mir zu blöd. Vielleicht gibt es Männer, die eine Frau so weit bringen wollen, aber ich ziehe eine Frau vor, die selbst denkt, der man nicht sagen muss, wann sie ein und wann aus zu atmen hat. Mir ist eine Frau lieber, die selber auch weit genug denken kann, die auch eine eigene Meinung hat und mir nicht nur stur nach dem Mund redet. Kein Dummerchen, das sich hinter dem Herd versteckt, sondern die auch was im Kopf hat.«
»Also niemand wie mich«, sagte Annika. Frank meinte ein einen leicht enttäuschten Blick bei ihr zu sehen.
»Wie kommst du da drauf?«, wollte er wissen.
»Ich habe ja nicht mal einen Schulabschluss«, sagte sie leise.
»Als ob es darauf wirklich an käme. Ich glaube, wenn du die Gelegenheit dazu bekämst und mit dem richtigen Anreiz würdest du den locker schaffen. Bloß weil du wegen Problemen deinen Abschluss nicht geschafft hast, heißt das noch lange nicht, das du den mit etwas Lernen und Üben nicht schaffen würdest. Ich mein, ich kenne dich ja nun wirklich erst seit ein paar Stunden aber vermutlich würdest du sogar das Abi schaffen und studieren können«
Wieso erzählte er ihr sowas? Er kannte sie ja wirklich erst seit ein paar Stunden und wie klug sie wirklich war, wusste er überhaupt nicht. Doch irgend etwas sagte ihm, das er mit seiner Einschätzung nicht all zu weit daneben lag.
»Ich glaube nicht, daß ich das schaffen würde«, sagte sie zweifelnd. »Und außerdem, wie sollte ich das denn überhaupt machen? Ich weiß ja meistens nicht einmal, wo ich morgen schlafen werde. Wie soll ich dann zur Schule gehen? Und wo von soll ich das denn bezahlen?« Sie sahen sich eine Weile schweigend an und tranken die Flaschen leer.
»Also die Wette würde ich trotzdem eingehen«, sagte er ernst. Er hatte sogar schon eine ziemlich genaue Vorstellung davon, wie das funktionieren würde.
»Ich weiß nicht«, sagte sie. »Ich bin eine Obdachlose Pennerin. Niemand würde mich in eine Schule lassen.«
Er sah sie an und lachte. »Tut mir leid«, sagte er als er sich wieder beruhigt hatte. »Aber geh mal ins Bad, schau in den Spiegel und sag mir, ob du da noch eine Pennerin siehst. Mit den passenden Klamotten könntest du sogar als Geschäftsfrau durchgehen. Oder als Sekretärin oder so.«
»Ich weiß nicht, ob mir sowas überhaupt liegt. Ich wollte früher immer irgend was mit den Händen machen. Bevor mein Vater mich raus geworfen hat, hatte ich schon eine Lehrstelle in einer Schreinerei«, wieder schossen ihr Tränen in die Augen. Frank sah ihren Blick, nahm sie in die Arme und legte eine Hand auf ihren Rücken. Sie begann wieder zu weinen als sie an ihre kaputte Vergangenheit dachte und wie es dazu gekommen war, das sie überhaupt auf der Straße gelandet war. Sie legte den Kopf in seinen Schoß und weinte einfach.
Es dauerte eine ganze Weile bis sie sich wieder beruhigt hatte. Anscheinend ließ sie hier gerade fast zehn Jahre Frust aus sich heraus, dachte Frank, hielt ihre Hand und kraulte ihren Nacken.
Irgend wann wurde sie jedoch still und nach einer Weile zeigten gleichmäßige Atemzüge ihm, das sie eingeschlafen war. Er hob sie vorsichtig an, legte sie auf die Couch und deckte sie zu.
Er selbst ging ins Schlafzimmer, zog sich um und legte sich ins Bett. Anni, die die ganze Zeit über in ihrem Körbchen gelegen hatte, folgte ihm und legte sich an seine Füße. Er lag noch eine ganze Weile wach und dachte über diese Frau nach, die da auf seiner Couch lag. Sie war hübsch. Nicht gerade eine umwerfende Schönheit aber sowas interessierte ihn auch gar nicht. Sie gefiel ihm mit ihren roten Haaren, den grünen Augen und der von Sommersprossen umrahmten Stupsnase.
– – –
»Wie macht sich dein neuer Lehrling?« Frank saß mit einer Flasche Radler in der Hand und den Füßen auf dem Schreibtisch in dem kleinen Büro.
»Nimm erst mal deine Füße von meinem Schreibtisch«, sagte Marco breit grinsend.
Frank nahm die Füße vom Tisch, drehte den Stuhl und legte die Füße auf die beiden übereinander gestapelten Bierkästen, was Marco mit einem schiefen Grinsen bedachte.
»Das wird sich nach den Sommerferien zeigen, wenn die Berufsschule los geht. Aber bisher hat sie noch alle Finger und noch keine größeren Löcher in der Arbeitshose. Sie lernt verdammt schnell und sie ist geschickt.« Marco beugte sich vor und fischte eine Flasche aus dem Kasten, setzte sie an die Kante des Schreibtisches an und öffnete sie mit einem schnellen Schlag auf den Kronkorken.
»Feierabend«, sagte er und prostete Frank zu.
Anni, die unter dem Schreibtisch lag, hob den Kopf und sprang auf. Sie rannte schwanzwedelnd zur Tür und sprang an dieser hoch. ‚Wenn sie etwas intelligenter wäre, würde sie jetzt mit den Pfoten die Klinke herunter drücken und die Tür öffnen‘, überlegte Frank.
Doch die Klinke wurde nun von außen herunter gedrückt und die Tür öffnete sich.
Annika steckte den Kopf durch den Spalt und sagte »Ich mache Feierabend. Heut ist unser Jahrestag.«
Sie wollte Anni die Leine anlegen, die neben der Tür hing und gehen, doch mit einem leisen Fingerschnippen rief Frank das Fellknäul zu sich.
»Was soll das denn Anni?«, fragte Annika, »Wir wollen nach Hause, zu Herrchen.«
Marco wandte sich ab damit sie sein Grinsen nicht bemerkte, als in das Büro kam, um Anni zu holen.
Als sie Frank bemerkte, blieb sie vor dem Schreibtisch stehen und machte einen Knicks, was in ihrer schwarzen Latzhose alles Andere als elegant aussah.
»Guten Abend, Frank«, sagte sie. Schnell ließ sie ihre rechte Hand in der Hosentasche verschwinden und richtete, als sie diese wieder heraus zog, den Ring an ihrem Finger, so daß der kleinere Ring, der auf diesem befestigt war, sich genau oben befand.
»Hallo Annika.« Frank trank die Flasche aus und stellte sie in den Kasten zurück. »Wenn du dich umgezogen hast, lass uns gehen.«
Mit einem Lächeln nickte sie, knickste noch einmal und verließ das Büro.
»Also vor mir knickst sie nicht so schön«, sagte Marco grinsend.
»Soweit kommt’s noch, daß sie vor anderen den Hampelmann macht. Das lass mal deine Claudi für dich machen«, erwiderte Frank und stand auf.
Schweigend ging Annika neben Frank den Gehweg an der Hauptstraße entlang und hielt Annis Leine in der Linken. Ihre Rechte hatte sie, zusammen mit seiner Linken in seiner Jackentasche vergraben.
Als sie das Haus erreichten und vor der Garage standen, blieb sie abrupt stehen, stellte sich direkt vor ihn und schaute ihn etwas wehmütig an. »Du hast deine Wette gewonnen«, sagte sie leise, zog einen zerknitterten 20 Euroschein aus der Tasche und gab ihn Frank.
Dieser nickte nur und steckte ihn ohne hin zu sehen ein.
»Was passiert jetzt mit mir?«, fragte sie noch leiser, kaum hörbar.
»Ich habe dir versprochen, daß du gehen kannst, wenn du deinen Schulabschluss schaffst«, sagte Frank. Er wandte sich um und zog sie mit sich, am Haus vorbei bis zur Hintertür der Garage.
»Deine Sachen sind da drinne«, sagte er und schob sie in die dunkle Garage. Hinter ihr fiel die Tür zu und sie war wieder alleine.
Mit einer Träne in den Augen schaltete sie das Licht an.
An einem Kleiderbügel an dem großen Tor hingen Kleider. Es waren genau die Kleider, die sie vor zwei Jahren das letzte Mal getragen hatte. Anscheinend hatte er sie doch nicht weg geworfen, sondern reinigen lassen.
Doch noch etwas bemerkte sie. Vor der Werkbank stand, lackiert und fertig gepolstert, der Käfig in dem sie sich damals selbst gefangen hatte.
Frank hatte sich eine Zigarette angesteckt, lehnte neben der Hintertür der Garage und wartete. Als er ein metallisches Scheppern und dann das Geräusch von Metall welches auf Metall schabt, hörte, nahm er noch einen Zug, trat die Zigarette aus und ging ins Haus.
– – –
Annika wachte auf, als das Licht an ging. Wie lange sie in diesem Käfig gehockt hatte, konnte sie nicht sagen. Ruhig und bewegungslos blieb sie hocken. Etwas Anderes war mit dem Kopf in der runden Öffnung des Käfigs auch nicht möglich.
Sie konnte niemanden sehen und nur der Geruch von Kaffee und warmen Ravioli hing in der Luft.
»So so, da hat wohl jemand den Kopf in Dinge gesteckt, wo er nicht hin gehört«, vernahm sie Franks Stimme. Er trat vor sie und kniete sich vor ihr auf den Boden.
Lächelnd und mit erhobenem Kopf sagte sie »Nein, er gehört genau da hin.«
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